EXIST ist ein Markenzeichen und Qualitätssiegel für Innovation und unternehmerische Initiative

Interview mit Dietrich Hoffmann, Projektträger Jülich

Dietrich Hoffmann ist Leiter der Gründungsförderung beim Projektträger Jülich (PtJ). Er begleitet praktisch von Anfang an die Umsetzung von „EXIST – Existenzgründungen aus der Wissenschaft“ im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz. Im folgenden Interview zieht er Bilanz über 25 Jahre EXIST.
Herr Hoffmann, wenn Sie sich an die Anfänge von EXIST zurückerinnern: Hätten Sie sich damals vorstellen können, welche Bedeutung EXIST 25 Jahre später in der bundesweiten Förderlandschaft einmal haben würde?
Dietrich Hoffmann: Nein. Das war damals überhaupt nicht absehbar. Wenn Sie sich an die Neunziger zurückerinnern: Das sind ja turbulente Nachwendejahre gewesen. Der Fokus lag sowohl im Forschungsministerium als auch im Wirtschaftsministerium auf der Einbindung der ostdeutschen Wissenschaftslandschaft in das System der Bundesrepublik. Es gab damals das TOU-Programm zur Förderung technologieorientierter Unternehmensgründungen in den neuen Bundesländern. Mit dessen Unterstützung sind einige sehr erfolgreiche Start-ups entstanden. Aber insgesamt lag das Gründungsthema bundesweit doch relativ brach.

Das Thema Gründungskultur an Hochschulen und die Vermittlung von gründungsspezifischem Wissen war letztlich auf ganz wenige Enthusiasten reduziert. Ich erinnere da an Professor Heinz Klandt, Inhaber des ersten deutschen Lehrstuhls für Entrepreneurship an der EBS Universität für Wirtschaft und Recht. Oder auch Professor Günter Faltin von der Freien Universität Berlin mit seiner Tee-Kampagne und Gründungsmitglied des Existenzgründer-Instituts e. V. in Berlin sowie der Stiftung Entrepreneurship. Und nicht zu vergessen der inzwischen verstorbene Professor Norbert Szyperski, Gründungspräsident des Förderkreises Gründungs-Forschung und ehemaliger Vorsitzender des EXIST-Sachverständigenrates. Sie gehörten zu den wenigen, die das Thema Entrepreneurship vorangetrieben haben.

Insofern hat das Bundesministerium für Bildung und Forschung 1998 den richtigen Schritt getan und mit den EXIST-Modellregionen in den Hochschulstrukturen und in der Lehre angesetzt, um dem akademischen Gründungsgeist die Tür zu öffnen. Dass sich EXIST dabei so erfolgreich entwickeln würde, war aber damals überhaupt nicht absehbar.
Was hat zu diesem Erfolg beigetragen?
Dietrich Hoffmann: Ich denke, dafür war besonders der Wechsel der Zuständigkeit vom Bundesbildungsministerium ins Bundeswirtschaftsministerium im Jahr 2006 verantwortlich. Damit erhielt EXIST einen unglaublichen Schub. Beginnend bei der Sensibilisierung und Mobilisierung in den Hochschulen über die Programmsäule EXIST Gründungskultur, der Pre-Seed-Förderung durch EXIST-Gründerstipendium1 [Fußnote: 1) Die Umbenennung von EXIST-Gründerstipendium in EXIST-Gründungsstipendium erfolgte mit Inkrafttreten der aktualisierten Richtlinie am 18. April 2023.] als Breitenansatz und EXIST-Forschungstransfer als Exzellenzansatz. Hinzu kamen Angebote im Bereich der Wagniskapitalfinanzierung, insbesondere durch den High-Tech-Gründerfonds. Damit ist eine durchgängige Förderlinie entstanden, die weltweit einmalig ist.
Kommen wir noch einmal zurück zu den Anfängen von EXIST. Der Startschuss fiel 1998 mit dem Aufruf zur Förderung von Modellregionen. Wie haben damals die Hochschulen und die deutsche Wissenschaftslandschaft darauf reagiert?
Dietrich Hoffmann: Sehr positiv. Insgesamt hatten sich über 200 Hochschulen mit ihren regionalen Kooperationspartnern aus Wissenschaft, Wirtschaft und Politik beworben. Es war aber von Anfang an klar, dass nur fünf Modellregionen gefördert werden konnten. Im Nachhinein betrachtet ist es schade, dass dieses Potenzial nicht viel früher in der Breite ausgeschöpft worden ist.
„Ein Großteil der Hochschulen hat bereits konkrete Maßnahmen ergriffen, um seine Gründungsunterstützung zu verstetigen.“
Dass es so viele Bewerber gab, widerspricht aber doch dem Bild, dass das Gründungsthema damals eher brachlag.
Dietrich Hoffmann: Man muss sehen, dass sich im Verlauf der Neunzigerjahre sehr viel verändert hat. Start-up-Gründungen gewannen zu Beginn der Neunziger durch die New Economy immer mehr an Attraktivität und Leichtigkeit. Die technische Entwicklung, insbesondere im Bereich der Kommunikationstechnologien, ermöglichte auf einmal Geschäftsmodelle mit einem unglaublich hohen Wachstumspotential. Start-ups, die praktisch über Nacht Millionenumsätze erwirtschafteten und international tätig waren, sorgten für Schlagzeilen. Dieser neue Markt wurde von vielen Hochschulen sowie deren Absolventinnen und Absolventen, aber natürlich vor allem auch von der Politik als große Chance gesehen. Deswegen war die Beteiligung an dem Aufruf zu den EXIST-Modellregionen auch so hoch. Der Dämpfer kam dann im Jahr 2000 mit dem Platzen der Dotcom-Blase.
Mit EXIST ging es aber trotzdem weiter. Die Förderung wurde sogar immer breiter aufgestellt bis hin zu EXIST-Potentiale. Würden Sie sagen, dass der Gründungsgeist heute in den Hochschulleitungen und in der Professorenschaft angekommen ist?
Dietrich Hoffmann: Ja, in jedem Fall. Insgesamt haben 142 Hochschulen während der vierjährigen Laufzeit bis 2024 eine Förderung zum Aus- und Aufbau ihrer Gründungskultur erhalten. Diese Breitenförderung hat bewirkt, dass viele Universitäten und Hochschulen für angewandte Wissenschaften, die zuvor nur sporadisch Start-ups hervorgebracht hatten, sich gegenüber diesem Thema geöffnet und entsprechende Strukturen aufgebaut haben. Und nicht nur das: Ein Großteil der Hochschulen hat bereits konkrete Maßnahmen ergriffen, um seine Gründungsunterstützung zu verstetigen. So werden zum Beispiel etwa 50 Prozent der Stellen, die in der hochschuleigenen Gründungunterstützung angesiedelt sind und über EXIST-Potentiale gefördert wurden, auf Dauer finanziert werden: durch Mittel der Hochschulen, durch Landesprogramme oder auch durch ESF-Mittel. Das zeigt, dass wir mit EXIST-Potentiale tatsächlich nachhaltig die Breite der Hochschullandschaft erreicht haben. Hinzu kommt, dass heute viele Professorinnen und Professoren eigene Gründungserfahrungen mitbringen und als Mentorinnen und Mentoren für Start-ups aktiv sind und sich in ihren Fachbereichen dafür einsetzen, dass die Gründungkultur dort weiter Fuß fasst.
„Trotz der geplatzten Dotcom-Blase waren immer noch viele Studierende und Forschende an einer Unternehmensgründung interessiert.“
Nun gibt es bei EXIST auch noch eine weitere Förderlinie, die die individuelle Gründungsförderung im Fokus hat. Den Anfang machte EXIST-Seed im Jahr 2002. Die Förderung richtete sich zunächst nur an gründungsinteressierte Studierende und Forschende in den Modellregionen, wurde dann aber ab 2005 bundesweit angeboten. Wie haben die Studierenden und Forschenden darauf reagiert?
Dietrich Hoffmann: Mit EXIST-Seed wurde eine echte Förderlücke adressiert. Denn trotz der geplatzten Dotcom-Blase waren immer noch viele Studierende und Forschende an einer Unternehmensgründung interessiert. Eine der größten Herausforderungen war dabei jedoch die Finanzierung, vor allem, weil sich der Großteil der Investorinnen und Investoren nach dem Zusammenbruch des neuen Marktes zurückgezogen hatte. Insofern wurde EXIST-Seed sehr positiv aufgenommen. Wobei der richtige Durchbruch erst 2007 mit der Überführung von EXIST-Seed in EXIST-Gründerstipendium kam. Damit unterstanden die Gründerinnen und Gründer nicht mehr dem Angestelltenstatus der Hochschule, sondern konnten wesentlich freier agieren und ihre Gründungsidee konsequent vorantreiben.
Neben EXIST-Gründerstipendium wurde 2007 auch EXIST-Forschungstransfer ins Leben gerufen. Warum hat das Bundeswirtschaftsministerium damit eine weitere individuelle Förderschiene aufgelegt?
Dietrich Hoffmann: EXIST-Gründerstipendium bzw. EXIST-Gründungsstipendium, wie es seit 2023 heißt, bietet für die Dauer eines Jahres die Möglichkeit, eine innovative Idee in einen Businessplan und eine kleinere Produktentwicklung zu überführen. Für Hightech-Gründungen, die mit einem hohen Forschungsrisiko verbunden sind, ist es allerdings weniger geeignet. Es war daher nur konsequent, eine Förderlinie zu entwickeln, die sich am Bedarf hochinnovativer Gründungsteams orientiert. Die bisherigen Erfahrungen zeigen denn auch, dass das Bundeswirtschaftsministerium mit EXIST-Forschungstransfer ins Schwarze getroffen hat. Im Vergleich zu anderen Förderinstrumenten erfolgt der Transfer von hochinnovativen Forschungsergebnissen in die wirtschaftliche Anwendung bei Teams, die mit EXIST-Forschungstransfer gefördert werden, wesentlich schneller.
EXIST-Forschungstransfer gilt inzwischen auch als eine Art Gütesiegel.
Dietrich Hoffmann: EXIST ist insgesamt ein Markenzeichen und Qualitätssiegel für Innovation und unternehmerische Initiative. Das wird sowohl von Investorinnen, Investoren, Business Angels sowie von Geschäftsbanken und den Investitionsbanken der Länder so gesehen. Unser Monitoring zeigt, dass über zwei Drittel der Gründungen, die EXIST-Forschungstransfer erhalten haben, eine private Anschlussfinanzierung einwerben können. Das ist ein großer Erfolg.
Sowohl EXIST-Gründungsstipendium als auch EXIST-Forschungstransfer haben in den vergangenen Jahren zahlreiche Start-ups hervorgebracht, die zum Teil bundesweit bekannt sind und sogar international in ihrer Branche in der oberen Liga mitspielen.
Dietrich Hoffmann: Das stimmt. Wir haben zahlreiche sehr gute Beispiele, die sich zu Hidden Champions entwickelt haben. Viele davon leisten mit ihren innovativen Verfahren und Produkten einen wichtigen Beitrag zur Bewältigung der Klimakrise. Das Gründungsteam der Orcan Energy GmbH zum Beispiel kommt von der TU München und hat ein Verfahren entwickelt, das aus der Abwärme von Industriebetrieben sauberen Strom erzeugt. Ein anderes Beispiel ist INERATEC, eine Ausgründung des Karlsruher Instituts für Technologie. Das Start-up betreibt Power-to-X Anlagen und stellt synthetische Treibstoffe und Chemikalien her. Additive Drive wiederum fertigt mittels 3D-Druck Elektromotoren für die Auto-, Luftfahrt- sowie die Robotikindustrie. Das Gründungsteam kommt von der TU Bergakademie Freiberg. Die Liste dieser sogenannten Impact Start-ups ließe sich beinah endlos fortsetzen. Hinzu kommen die zahlreichen wissenschaftsbasierten Ausgründungen, die im medizinischen Bereich unterwegs sind. Das Gründungsteam der PRiME Vector Technologies hat zum Beispiel in langjähriger Forschungsarbeit am Universitätsklinikum Tübingen sogenannte vektor-basierte Impfstoffe entwickelt, die sich schnell und einfach an verschiedene Anforderungen anpassen lassen.

Stolz sind wir auch auf „unser“ internationales Unicorn Celonis, das mit EXIST-Gründerstipendium gefördert wurde. Investoren haben 2018 den Wert des Unternehmens auf eine Milliarde Dollar geschätzt. Das 2011 gegründete Unternehmen stammt von der TU München und betreibt Process Mining. Es beschäftigt sich also mit der Auswertung und Visualisierung großer Datenmengen.

Wir haben aber nicht nur Hightech-Start-ups im Portfolio, die sehr anspruchsvolle Herausforderungen in Industrie und Wissenschaft adressieren, sondern auch viele Gründungen im Consumer-Bereich. Die Gründer von ergobag sind zum Beispiel seit 2010 am Markt. Inzwischen heißt das Unternehmen FOND OF GmbH und gehört zu den Marktführern im Bereich Schulrucksäcke. Oder das Team von WIRKAUFENS, das seit 2008 im Re-Commerce unterwegs ist. Das Start-up kauft gebrauchte elektronische Geräte auf, bereitet sie wieder auf und verkauft sie wieder. Dadurch werden wertvolle Rohstoffe wie Kupfer, Gold, Palladium usw. nachhaltig genutzt.
„Die Kombination aus finanzieller Absicherung, intensiver Betreuung, notwendiger Infrastruktur zur Ideen- und Produktentwicklung und ausreichend Zeit ist in der Förderlandschaft nach wie vor einmalig.“
Inzwischen gibt es ein unglaublich großes Angebot für innovative Gründungsteams und Start-ups. Dazu gehört neben EXIST der Gründungswettbewerb „Digitale Innovationen“, der High-Tech Gründerfonds oder auch der German Accelerator. Die Bundesländer bieten Förderprogramme, Initiativen, Wettbewerbe und mehr an. Start-ups haben Netzwerke und Verbände gegründet. Wo steht EXIST heute in diesem vielfältigen Start-up-Ökosystem?
Dietrich Hoffmann: Für innovative Ausgründungen aus Hochschulen und Forschungseinrichtungen gibt es eigentlich nach wie vor keine wirkliche Alternative zu EXIST-Gründungsstipendium und EXIST-Forschungstransfer. Die Kombination aus finanzieller Absicherung, intensiver Betreuung, notwendiger Infrastruktur zur Ideen- und Produktentwicklung und ausreichend Zeit ist in der Förderlandschaft nach wie vor einmalig.
Sowohl EXIST-Gründungsstipendium als auch EXIST-Forschungstransfer werden fortgeführt. Die Richtlinien wurden 2023 verlängert. Ganz neu hinzugekommen ist eine weitere Förderlinie: EXIST-Women.
Dietrich Hoffmann: Ja, Hintergrund ist, dass die Bundesregierung sich in ihrer Start-up-Strategie zum Ziel gesetzt hat, die Zahl der Start-up-Gründerinnen zu erhöhen. Genau dazu soll EXIST-Women beitragen. Es unterstützt die Gründungsnetzwerke an den Hochschulen dabei, Absolventinnen, Wissenschaftlerinnen, Studentinnen sowie Frauen mit Berufsabschluss und Bezug zur Hochschule zu einer Karriere als Unternehmerin zu motivieren. Die Förderlinie ist 2023 an den Start gegangen und auf wirklich große Resonanz gestoßen. In der ersten Bewerbungsrunde konnten wir bereits 110 Anträge von Hochschulen aus ganz Deutschland bewilligen. Aktuell werden mehr als 1.000 Frauen bei der Vorbereitung und Evaluierung ihrer Gründungsidee unterstützt.
„Eine ‚Karriere‘ als Unternehmerin oder Unternehmer kann genauso eine berufliche Option sein wie ein Job in der Industrie, in der Wissenschaft oder der Verwaltung.“
Neu ist auch ein weiteres Programm, das sich an Hochschulen richtet: Startup Factories. Worin besteht der Unterschied zu EXIST-Potentiale?
Dietrich Hoffmann: EXIST-Potentiale hat die Gründungsstrukturen unmittelbar an den Hochschulen adressiert. Es hat dafür gesorgt, dass die Studierenden sowie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vor Ort auf dem Campus heute Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner finden, die sie bei ihren Gründungsvorbereitungen unterstützen. Das Programm „Startup Factories“ möchte nun das gesamte Start-up-Ökosystem im Umfeld der Hochschulen stärken. Die Vernetzung zwischen den Hochschulen und den jungen Unternehmen, den Investorinnen und Investoren, den etablierten Unternehmen, Wissenschaftseinrichtungen sowie weiteren Playern in den Regionen soll intensiviert werden. Ziel ist es, zu Wachstum und Festigung der Start-ups beizutragen und zugleich den Hochschulen die Chance zu bieten, ihre Gründungsunterstützung mit Hilfe ihrer Netzwerkpartner zu professionalisieren und auszubauen.
Wenn Sie an die kommenden zehn Jahre denken: In welche Richtung sollte sich die Gründungslandschaft bewegen?
Dietrich Hoffmann: Ich würde mir wünschen, dass das Thema Entrepreneurship in allen Fachrichtungen – nicht nur in den MINT-Bereichen und den Wirtschaftswissenschaften, sondern auch in den sozial- und geisteswissenschaftlichen Fachrichtungen – verankert wird. Und dass alle Studierenden vom ersten Semester an lernen, in ihren Projekten unternehmerisch zu denken. Einfach um deutlich zu machen, dass eine „Karriere“ als Unternehmerin oder Unternehmer genauso eine berufliche Option sein kann wie ein Job in der Industrie, in der Wissenschaft oder der Verwaltung.

Außerdem wünsche ich mir, dass sich die Hochschulen als Frühphaseninkubatoren weiterentwickeln. Über EXIST-Potentiale sind viele Strukturen, Räume, Events, Tools und Leitfäden entwickelt worden. Wenn sich die Hochschulen hier weiter öffnen und einen Beitrag für ihr regionales Innovationsökosystem leisten, bleiben sie sowohl für (potentielle) Studierende als auch für die Wirtschaft attraktiv. Sie profitieren also ganz erheblich davon.
Herr Hoffmann, vielen Dank für das Interview.